Ich hatte es geahnt: Der eigentlich nur naiv provozierende Vorschlag, für potentielle Republik-„Flüchtlinge“ eine Transferliste mit Ablösesummen zu erstellen als Weg, die DDR zu stärken, musste Widerspruch hervorrufen. Denn er entblößt den Gegensatz zwischen den ethisch begründeten Vorstellungen, in welcher Welt wir leben wollten (nämlich einer, in der es sowas eben weltweit nicht gibt), und den Realitäten (wo die Profistars sich natürlich freuen, wenn sie an dem Geldregen, den sie bewirken, auch selbst beteiligt werden).
„Ich erlaube mir einen makabren Vergleich: Wenn irgendwo ein Fussballspieler besondere Leistungen zeigt und ein anderer Verein möchte, dass er für ihn spielt, dann ist selbstverständlich, dass die beteiligten Vereine eine Ablöse aushandeln – so wie selbstverständlich der Spieler seinen Wunsch nach besserem materiellen Verdienst in diese Verhandlungen einbringt.“ zitiert mich Günther. Dann argumentiert er offensiv:
Hier erfolgt ein Fehler. Wie will ich sozialistische Bedingungen und Verhältnisse mit der kapitalistischen Art und Weise des Sklavenhandels im Sport – heute auf allen Gebieten – vergleichen? Wenn ich Vergleiche ziehen will, muß ich im System bleiben – oder sehe ich das falsch?
Und ich versuchte es so:
Der Fehler liegt m. E. in einer Illusion unsererseits früher – und deinem Optimismus.
„Im System bleiben“ kann man nur, wenn man im System schon ist. Genau das aber stelle ich in Frage. Wir, also die DDR, waren noch nicht im Sozialismus. Wir haben uns mit unterschiedlichem Erfolg bemüht, die Grundlagen zu diesem System (!) zu schaffen: Was wir Diktatur des Proletariats nannten, die grundlegenden Änderungen in den Eigentumsverhältnissen usw. sind unumgängliche Voraussetzungen, um Sozialismus zu schaffen. Aber sie stellen ihn noch nicht (hinreichend) dar. Dazu muss mindestens weltweit die organisierte Macht des Kapitals beseitigt sein – sowohl politisch als auch ökonomisch organisiert. Dann kan es „richtig“ losgehen.
Für einen Sieg einer neuen, menschlicheren Ethik muss der Reiz der alten weg sein. Welcher Kapitalist kauft sich seine Leute nicht? Die DDR-Bürger, die abgeworben worden sind, sind extrem billig „gekauft“ worden. Unsere Hochschulen usw. haben das geistige Niveau der westdeutschen „Wertarbeit“ wesentlich mit geschaffen. Wie wenige Spitzenkräfte haben sich von der menschlichen Vorstellung, erst müsse jeder seine Schrippe gegen den Hunger und ein Dach überm Kopf haben – billig, damit es sich auch wirklich jeder leisten kann – beeindrucken lassen, weil sie sich aus verschiedenen Gründen jeweils selbst für was Besseres hielten.
Der Markt war da. Der Markt war deshalb da, weil das kapitalistische System (!) nie seine Rolle des (wirtschaftlich) Stärkeren hat aufgeben brauchen. Damit hat er die Beziehungen wesentlicher weltweit bestimmt, als uns das Recht sein konnte … aber auch mehr als wir das begriffen haben.
Lenin hat nicht aufzeigen können, wann man wie von der NÖP zu einem gesicherten sozialistischen System nach der Logik von „Staat und Revolution“ übergehen kann. Er musste nur die widerliche Entscheidung treffen, dass er den „Kapitalismus“ braucht (aber ihn in seinen Grenzen in sein Systemprojekt einbauen kann).
Wir hätten nur zwei Möglichkeiten gehabt: In kurzer Zeit die kapitalistische Welt WIRKLICH überflügeln – was bei der Ausgangslage eine Illusion war – oder das Spiel des Kapitals dank konzentrierterer Wirtschaftskraft in Form unserer gemeinschaftlichen Eigentumsformen besser spielen als das Kapital selbst.
Das schließt den Sklavenhandel ein, sofern er unsere Ordnung verlässt …
Leider – das wird natürlich bei heutigen Überlegungen oft vergessen – trifft auch Günthers Gegenargument zu:
Schöne Überlegung – hatte ich auch schon mal, vor allem, da es ähnliche Modelle vor 1989 gegeben hat. Nicht wenige Arbeiter aus Jugoslawien haben ebenfalls als „Gastarbeiter“ im Westen gearbeitet und viele davon sind nach einer gewissen Zeit wieder in ihre Heimat zurückgekommen.
War es die Sturheit der DDR Betonköpfe, die eine solche Möglichkeit nicht zuließen.
FALSCH – Jugoslawien und die BRD waren zwei unabhängige Staaten mit unterschiedlichen Natioenen. Die BRD hat nie einen Alleinvertreteungsanspruch für Jugoslawien erhoben, auch keine Gebietsansprüche und ein Roll-Back.
Bei alle solchen Überlegungen darf man nie die andere Seite außer Acht lassen. An allen Bedingungen die DDR betreffend, ist eine gewaltige Verantwortung der jeweiligen Regierung der BRD zu sehen. Durch den Alleinvertretungsanspruch waren Bürger der DDR auch Bürger der BRD, wenn sie die Grenzen der DDR verlassen hatten. Fuhren sie ins westliche Ausland, so konnte dort sogar mit einigen Erfolg über Botschaften und Geheimdienst massiven Druck ausgeübt werden. Solche Vorschläge wie im Artikel beschrieben waren aufggrund der Ablehnung der BRD nicht möglich – das trifft auch für eine frühere Lockerung des Grenzsystems vollinhaltlich zu.
Natürlich hätte die BRD-Regierung einer Lockerung zugestimmt, jedoch ohne dabei die Staatsbürgerschaft der DDR-Bürger auch nur im Geringsten anzuerkennen. Ist es also klug und im Sinne der eigenen Bürger, wenn man deren Rechte im Ausland mit Füßen treten läßt?
Andererseits ist natürlich dieses Argument eines, das wieder meine Startaussage stützt: „Die Mauer“ war ja dann eine „Argument“ für den Gegner, sich in die Situation als Ganzes – wenigstens zeitweise und bedingt – zu fügen. Also hätten wir uns einen Mauerbau schon 1949 erlaubt, wäre vieles „leichter“ gewesen …