Der König David Bericht oder die Dialektik von Kritik …

Als ich jung war, fraß ich Literatur in Massen in mich hinein. Da kam ich logischerweise auch nicht an solcher vorbei, die als anrüchig galt. „Der König David Bericht“ von Stefan Heym gehörte dazu. Beim ersten Anlauf las ich nur das, was da stand: Eine historische Geschichte aus der Zeit König Salomons. Mir blieb als Einziges im Gedächtnis haften, dass als Trophäe nach einer Schlacht und als Beweis, wer dort gemetzelt wurde, den getöteten Männern die Vorhäute abgeschnitten wurden. Welche Bedeutung dies für Kriege zwischen jüdischen und nicht jüdischen Heeren hatte, war mir noch nicht klar. Ich fand es eigentlich NUR eklig. Was sollte das? Warum stand dieses Buch angeblich auf dem Index? Deshalb?
Dass Heym als Dissident und Jude in der DDR etwas sowohl Anrüchiges als auch Besonderes war, verstand ich noch nicht. Dass Heym auf der Liste der damaligen PDS in den Bundestag gewählt wurde und als Alterspräsident besonderen, undiplomatischen Anfeindungen ausgesetzt war, erregte ein neues, andersartiges Interesse.
In einem Deutschland mit dem Kultur-Niveau (gesprochen: nie wo!!!) eines Stasi-Knabe las ich das Buch noch einmal. Plötzlich erschloss sich eine völlig neue Geschichte.
Ich kann mich nicht erinnern, dass ich irgendwo anders so geschickt in einer eigenständigen parabelhaften Erzählung eine derartige Gesellschaftskritik formuliert wurde. Eigentlich durchzieht die Aussage, die jeweiligen bzw. zeitweiligen „Sieger der Geschichte“ schreiben die jeweilige Vorgeschichte nach ihren Wünschen und Vorstellungen neu, mit immer neuen „running gags“.
Auf der einen Seite erschloss sich die Kritik an der DDR-Führungsriege und dem Tross von eifrigen Vasallen. „Wir sind die Sieger der Geschichte“ und ALLE Geschichte ist so zurechtzuschreiben, dass nichts diesen Eindruck trübt. Von Spartakus über Müntzer, Thälmann bis Honecker eine Reihe revolutionärer Helden, die die Träume der Menschheit Wirklichkeit werden ließen … oder wenigstens fast. Und Mielke natürlich nicht zu vergessen. Dass dabei viel zurechtgebogen werden musste, damit alles gerade passte, dass die, die es besser wussten zum Schweigen gebracht wurden … Das Buch las sich nun als gut gemachter Schrei nach Wahrheit.
Doch Heym brauchte sich mit der Wende nicht zu wenden. Er war klug genug, zu sehen, dass zu DDR-Zeiten vorrangig der Selbstverliebtheit der unkontrolliert Mächtigen geschuldet war, zum Wesen des Systems geworden war. Er als intellektueller Jude erkannte die Mechanismen der Macht. Er, der zu DDR-Zeiten von der damaligen BRD-deutschen „Elite“ zum Superstar im Osten hochgejubelt worden war, musste akzeptieren, dass er nun genau dort auf den wirtschaftlichen Index kam. Natürlich konnte man nicht „verbieten“, aber man konnte ihn der Stasi-Mitarbeit bezichtigen, was schlimmer war, weil ein Verbot anfechtbar, ein Verdacht aber anrüchig anhaftend war.
Die vorübergehenden Sieger schrieben die Geschichte neu. Alles was war wurde umgedeutet – und wo das nicht ging eben umgeschrieben. Es wurde sogar ein neuer Begriff erfunden „Unrechtsstaat“ – etwas im rechtlichen Sinn Unmögliches.
Derselbe Roman, aber aus der jeweiligen Kontext heraus zwei Wertungen. Aus dem, was ein Klopfen auf die Finger der Sozialismus-Verdreher gedacht gewesen sein mochte, war nun ein Angriff auf die neue Macht geworden. Denn aus einem antifaschistischen Gedenkort, der an kommunistischen Widerstand gegen die gerades an die Macht gekommenen deutschen Faschisten wurde eine Geschäftsimmobilie eines Amtsgeiers. Geschichte umschreiben. Da wurde der Begriff NationalSOZIALISMUS gebraucht – und es musste die Erinnerung beseitigt werden, dass die Kommunisten die konsequentesten Verteidiger der Demokratie gewesen waren. Die waren ja die Radikalen und mit den Faschisten gleich zu setzen.
Kunst ist Waffe – ob der Künstler das will oder nicht.
Heym hatte eine Kritik gewagt, die über die DDR-Vergangenheit hinaus weisen sollte in eine Zeit, in der Geschichte nicht mehr in erster Linie Legitimationswissenschaft für die gerade Herrschenden gewesen wäre. Die Umstände drängten die Kritik ins „rote“ Licht.
Welche Welt wollen wir denn nun???

3 responses to this post.

  1. Posted by Günther Wassenaar on Februar 11, 2010 at 2:10 pm

    Ja das ist so eine Sache. Ich habe gerade in ähnlicher Form darauf hingewiesen, dass Geschichte eine Gesellschaftswissenschaft ist. Literatur gehört natürlich auch dazu – alles außer den Naturwissenschaften. Gesellschaftswissenschaften haben aber keine eindeutige Wahrheit, da sie von dem jeweiligen Gesellschaftssystem abhängen, von der Blickrichtung aus der man die Wissenschaft betrachtet und die Zielrichtung wozu man deren Erkenntnisse auszunutzen wünscht. DAs trifft in jeder Gesellschaftsformation so und nicht anders auf. Aber dazu mein Beitrag auf der Seite des Sozialen Bündnisses Brandenburg.

    Hallo Freunde,

    vor einiger Zeit habe ich schon einmal darauf verwiesen, dass in der Geschichte nicht alles so verlaufen ist, wie man es uns beibringen will. Geschichte als Wissenschaft ist nun mal eine Gesellschaftswissenschaft – soll heißen – sie ist von der jeweiligen Gesellschaftsordnung abhängig, in der sie gelehrt wird. Geschichte hat Klassencharakter, denn jede Klasse betrachtet die Ergebnisse ie sich in der Geschichte auf tun von einem anderen Standpunkt.

    Bestes Beispiel dafür ist der 8. MAI.

    Für die, die dem Faschismus nachtrauern, die in dieser Zeit gute Geschäfte gemacht haben, für die ist es der Tag der Kapitulation, der Tag der Niederlage.

    Für die Antifaschisten, die selbst gegen diese Ausgeburt gekämpft, oft ihr Leben und ihre Gesundheit gelassen haben, für sie ist es der Tag der Befreiung.

    Nun sollte jeder von seinem Standpunkt aus heran gehen. Nutzte der Tag der Arbeiterklasse, oder schadete er ihr. Waren die Faschisten Freunde der Arbeiter oder haben sie die Arbeiter ausgenutzt und in den Krieg getrieben um die Gewinne der Mächtigen zu mehren?

    DAnn ist es nicht weiter kompliziert diesen Tag für sich selbst als Tag der Befreiung oder den Tag der Niederlage einzuordnen.

    Genau so funktioniert jede Betrachtung aller politischen Begenbenheiten und Aktionen

    Aber nun zur Geschichte der Arbeiterbewegung.

    Unter „Stalin – anders betrachtet“ steht:

    In Sibirien haben die Kulaken während der ersten 6 Monate des Jahres 1930 etwa 1000 Terroraktionen begangen. Zwischen dem 1. Februar und dem 10. März wurden 19 „konterrevolutionäre Aufstandsorganisationen“ und 465 „antisowjetische Kulakenzusammenrottungen“ mit über 4000 Mitgliedern entlarvt. Sowjetische Historiker schrieben 1975:
    „Im Zeitraum vom Januar bis zum 15. März 1930 organisierten die Kulaken im ganzen Lande (mit Ausnahme der Ukraine) 1678 bewaffnete Anschläge mit gleichzeitigen Morden an Partei- und Sowjetmitgliedern sowie an aktiven Kolchosbauern und ferner Zerstörungen kollektivwirtschaftlichen Eigentums.“ Im Okrug Salsk in Nordkaukasien kam es im Februar 1930 zu Aufständen, die über eine Woche lang anhielten. Gebäude der Partei und Sowjets sowie Lagerhallen und Läden wurden zerstört. Auf ihre Umsiedlung wartende Kulaken gaben Losungen aus wie: „Für die Macht der Sowjets ohne Kommunisten und ohne Kolchosen“ – „Auflösung der Parteizellen und Kolchosen“ – „Freilassung der inhaftierten Kulaken und Rückgabe ihres beschlagnahmten Eigentums“ – Wieder woanders wurde geschrieen. „Es lebe Lenin und die Sowjetmacht! Nieder mit den Kolchosen!“[101] ( die Fußnoten geben jeweils die Quelle an)
    Nur als Hinweis, der Anteil der Kulaken an der Landbevölkerung betrug zwischen 2 und 5 %, war also vergleichsweise gering
    Als die Kulaken ihren letzten Kampf gegen den Sozialismus aufnahmen, erhielten sie auf internationaler Ebene eine unerwartete Unterstützung. 1930 mobilisierte sich die belgische, deutsche und französische Sozialdemokratie gegen den Bolschewismus… gerade zum Zeitpunkt, da eine schreckliche Krise alle imperialistischen Länder heimsuche.
    1930 schrieb Kautsky ein Buch Der Bolschewismus in der Sackgasse.[103] Er behauptete darin, dass in der Sowjetunion eine gegen „die sowjetische Aristokratie“ gerichtete demokratische Revolution nötig sei.[104] Er hoffte auf einen baldigen und „siegreichen Bauernaufstand gegen das Sowjetregime in der UdSSR“.[105] Kautsky sprach von „der faschistischen Entartung des Bolschewismus“, die „seit etwa 10 Jahren eine Tatsache“ sei![106] So singt also die Sozialdemokratie schon seit 1930 immer wieder aufs neue die alte Leier vom „Kommunismus = Faschismus“. Eine Sozialdemokratie, die den Kolonialismus unterstützte, sich bemühte, den Kapitalismus aus der Krise von 1929 zu retten, die eine gegen die Arbeiter gerichtete Unterdrückung organisierte oder sich daran beteiligte und aus deren Reihen sich ein großer Teil anschickte, mit den Nazis zu kollaborieren! Kautskys Schlussfolgerung: „Unsere Hauptforderung ist die Demokratie für alle“. Er schlug eine geeinte Front mit der russischen Rechten für eine „parlamentarische demokratische Republik“ vor und behauptete, „die bürgerliche Demokratie ist in Rußland weniger als in Westeuropa am Kapitalismus interessiert“.[107]
    Ihr könnt also erkennen, dass lange vor der „Machtergreifung“ der Faschisten in Deutschland, in der Sozialdemokratie der Vergleich SOZIALISMUS = FASCHISMUS aktuell war und es noch heute bei Gaugk, Birthler, Köhler, Merkel und Co so und deren Publikationen BILD und andere blöd-Zeitungen, ist. Sind das aber Freunde der Arbeiter? Sollte deren geschichtliche Betrachtung auch unsere sein?

    Günther Wassenaar

    Genau den Satz, „Nutzt es der Arbeiterklasse, oder schadet es ihr!“ – der ist mir mit der Muttermilch eingetrichtert worden und darauf bin ich Stolz

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